Die konventionelle Nassrasur als Weltanschauung

Begonnen von In-Spector, 25. Oktober 2007, 18:29:59

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In-Spector

Ich denke, dass dieses Thema eher philosophischer Natur ist, aber eben mit der Nassrasur eng verbunden ist.

Ob das, was nachfolgend diskutiert wird, für alle treffend ist – kann ich nicht behaupten.

Die modernen System-Rasierer erfüllen ihren Sinn: praktisch, schnell, ungefährlich und gründlich.

Warum dann der konventionelle Rasierer, in der Form von der Erschaffung bis ungefähr 1980, obwohl die Modernen da sind?
Wozu dann das ewiges Auswählen der passenden Klinge? Und das alles auf eigenem Gesicht?

Das Rasieren mit dem "alten" guten Hobel ist mit gewissen Risiken verbunden, nimmt viel Zeit und Können in Anspruch. Die Rasur mit dem System-Rasierer dagegen ist zeitsparender und erfordert fast keine Erfahrung.

Das Ziel (= glattes Gesicht) ist gleich, aber die Wege sind verschieden.

Warum dann dieser "steinige" Weg, obwohl der Leichtere angeboten wird?
Im Grunde genommen ist das eigentlich irrational.

Ich meine, dass man(n) die Rasur mit dem Hobel als ein Ritual betrachten könnte.

Und wenn eine Gruppe von Menschen etwas Irrationales, für die anderen (Außenstehenden) Unverständliches, und mit einem bestimmten Ritual verbundenes tut und tun will – deutet dies im gewissen Sinne auf Weltanschauung hin.
GILLETTE AND MORE

Bruder Tom

Weltanschauung??? Es deutet auf ein Hobby hin. Zumindest für mich.

Fio

Also ich bin der Meinung wenn man sich schon rasieren muss, dann sollte es auch ein wenig spass machen. Und das geht mit Dosenschaum und Systemis nicht wirklich.
Natürlich ist die Rasur mit einem Hobel oder Messer ein Ritual - aber ein Ritual was spass macht und entspannend sein kann - und da lass ich lieber so ein Systemi liegen und gönne mir die Zeit.

Die Rasur mit einem Systemi ist sicherlich schneller und auch ungefährlicher, aber gründlicher das ist geschmacksache.

In diesem Sinne immer ein Paar Stoppeln unterm Hobel.  ;)

Drei

Es ist der Spass an der Handarbeit. Der Spass daran, dass man etwas geschafft hat was nicht ohne Übung so einfach geht. Es ist der Drang zur stetigen Verbesserung. Das Vergnügen einen wertigen Gegenstand virtuos zu handhaben. Der Spass an der zunehmenden Fertigkeit, die in ferner Zukunft irgendwann möglicherweise eventuell in so etwas wie Perfektion enden könnte. Aber auch die Lust am Ritual.

Es ist der Reiz des Archaischen, des Autarken, des Unabhängigen. Selbst wenn morgen der Welthandel für Systemklingen, Dosenschaum und Elektrorasierer komplett zusammenbräche, würden wir keinen Bart tragen. Ich gehe sogar weiter. Selbst wenn es morgen keine Rasierseife, -cremes oder sonstige Hilfsmittel gäbe, würde uns dies keiner ansehen. Selbst wenn die Vorräte innerhalb dieses Forums gleichverteilt in ca 20 Jahren zur Neige gingen, stellten wir fest, dass auch mit Ersatzstoffen eine passable Rasur zu schaffen ist.

Ach was red ich da. Es macht halt einfach nur Spass.

Bengall Reynolds

Ich glaube im NRF hat es jemand mal "Entschleunigung des Alltags" genannt? Das trifft es ziemlich genau!

Außerdem bekomme ich immer nen Tropfen an der Nase wenn ich ein schön gefertigtes Rasiermesser sehe.

Ich mag auch keine Mikrowellen-Gerichte oder geschnittenes Brot im Plastikbeutel vom Discounter, Kaffee aus Automaten, minderwertiges Schuhwerk und und und    :-[

Das alles hat zwar auch einen Sinn und erfüllt seinen Zweck, ist billig und schnell verfügbar, muss aber für mich nicht die favorisierte Lösung sein.

Keine Ahnung warum aber ich mag Handwerke die noch irgendwie mit menschlicher Schaffenskraft verbunden sind.
Dabei meine ich nicht den Ingenieur aus einem Billiglohnland der neben einer Maschine steht und diese beaufsichtigt (überspitzt formuliert!).

Weltanschauung? Vielleicht schon?
On a long enough timeline, the survival rate for everyone drops to zero.

Barth

Ich bin gern jederzeit bereit was neues zu probieren . . .  aber wenn das neue nun mal Schrott ist und das alte immernoch gut funktioniert ,dann bleib ich beim alten .

Auch wenns viele nicht verstehen .
Was wohl passieren würde wenn man vorm Candyman stünde und 5 x  hintereinander -''Spiegel''- sagen würde . . .

henning

#6
Guten Morgen
Nein, eine Weltanschauung ist es für mich sicher nicht. Das ist zu hochtrabend, schließt mehr ein als da ist. Dann müßte ich in anderen Dingen ähnlich denken oder handeln. Ein richtiges Ritual ist es auch nicht, weil jedes mal anders ablaufend, mit verschiedenen Werkzeugen. Ein Ritual ist für mich aber, immer wieder gleich zelebriertes Tun. Das mag auf VP-Jünger zutreffen, die nichts anderes gelten lassen, was mir dann aber schon zu verbohrt und damit zuwider ist. Gelten lassen möchte ich für mich eventuell eine gewiße Lebensanschauung, einen Touch Nostalgie, der aber nicht ausartet und sich nicht unbedingt auf andere Tätigkeiten abfärbt. Ich möchte tun und lassen können, was ich will und das auch für andere gelten lassen. Nicht im anarchistischen Sinne, sondern einfach ohne Zwang, seine Vorlieben auslebend. Das setzt natürlich Vorlieben voraus. Daß diese nun aber eine gepflegte Nassrasur, alter, nostalgischer Art darstellen, ist ein Zufall. Mehr nicht. In ihr, der Nassrasur an sich, lasse ich mich treiben. Kam an bei Hobeln, Single-Edge-Geräten und Messern. Probiere hier und verwende da. Ich bin aber nicht der Hobler oder der Messernutzer. Was mich fasziniert das hält mich gefangen, aber mal länger mal kürzer. Tendenzen kommen und gehen. Es kann vorkommen, daß ich irgendwann einen Großteil der Gerätschaft veräußere um mich auf wenige gute zu konzentrieren, Vorlieben kommen und gehen ebenso. Messer und Hobel sind mir gleichbbedeutend, mal nehme ich das eine mal das andere.
So sehe ich es und genieße einfach die Rasur, womit auch immer und ohne Zwang.
Ciao

Drei

Zitat von: Bengall Reynolds am 26. Oktober 2007, 00:25:54
Ich glaube im NRF hat es jemand mal "Entschleunigung des Alltags" genannt? Das trifft es ziemlich genau!

Hey Bengall, dann musste hier in die Pfalz ziehen. Hier läuft alles in Zeitlupe ab. Da wird mit wahnsinnigen 40 Sachen über breite Ausfallstraßen gebrettert und die Marktfrau erzählt Dir erst mal die Geschichte des Gemüses, bevor sie es Dir einpackt. Kann auch sein, dass sie Dir bestimmte Sachen gar nicht verkauft, weil sie weiß, dass das für Dich "nicht gut ist". Oder beim Bäcker: "Ratzinnnng - Ratzinnng - Ratzinnng", das waren drei Scheiben des Brotes, dessen Laib ich geschnitten haben wollte.

Das kann einen ganz schön fertig machen.

babypo

Zitat von: Drei am 26. Oktober 2007, 09:40:06
Zitat von: Bengall Reynolds am 26. Oktober 2007, 00:25:54
Ich glaube im NRF hat es jemand mal "Entschleunigung des Alltags" genannt? Das trifft es ziemlich genau!

Hey Bengall, dann musste hier in die Pfalz ziehen. Hier läuft alles in Zeitlupe ab. Da wird mit wahnsinnigen 40 Sachen über breite Ausfallstraßen gebrettert und die Marktfrau erzählt Dir erst mal die Geschichte des Gemüses, bevor sie es Dir einpackt. Kann auch sein, dass sie Dir bestimmte Sachen gar nicht verkauft, weil sie weiß, dass das für Dich "nicht gut ist". Oder beim Bäcker: "Ratzinnnng - Ratzinnng - Ratzinnng", das waren drei Scheiben des Brotes, dessen Laib ich geschnitten haben wollte.

Das kann einen ganz schön fertig machen.

Hallo Drei,
wie soll ich denn das verstehen? Du bezeichnest Pfälzer als "zu" gemütlich?
Ich nenne so etwas Charme.....

Aber um aufs Thema zurückzukommen, natürlich könnte ich mich auch mit dem bösen Zeug aus der Dose und
einem Rasierer dessen Klingen hinter Gitter gepackt wurden oder einem seiner "Kollegen" rasieren, aber mal ehrlich meine Herren....wo bleibt denn da der Spaß?
Wir haben doch bestimmt alle schon in dieser "Notwendigkeit" festgesteckt, es aber mittlerweile anders kennengelernt und uns doch auch deshalb - hier - alle getroffen.
Also ich für meinen Teil werde bei der "Kult"ivierten Art und Weise bleiben. :)
How much wood would a woodchuck chuck if a woodchuck would chuck wood

henning

Dosenschaum muß nicht sein. Aber wer es mag, warum denn nicht? Zu meiner Systemzeit hatte ich auch ausgezeichnete Rasuren. Verwendete Borstenpinsel von Wilkinson und Nivea oder Florena Rasiercreme. Auch damit bekommt man feine Rasuren hin. Verwendet wurden zuletzt, wegen den Preisen, Aldi- oder Lidlrasierer. Auch diese Rasuren habe ich genossen, kaum anders abgehalten wie nun mit dem Hobel. Für mich stimmt nicht, daß es nun besser geht. Ich kam mit Systemen genau so zurecht wie jetzt mit dem Hobel oder dem Messer. Nie lief ich schlecht rasiert herum. Das Gefühl nach diesen Rasuren war exakt das gleiche, nämlich Suberkeit und glatte Haut. Verwendet habe ich damals schon Old Spice oder Tabac Original oder Irisch Moos AS. Einzig fühlt sich ein Hobel, da ich auf schwerere Modelle stehe, besser an in der Hand. Es ist natürlich auch nostalgischer, aber nur wenn man es so empfindet. Mancher, mit anderen Motiven, empfindet es als "billige" Rasur oder gar rückständig. Das liegt alles im Auge des Betrachters un in seinem Denken. Das sollte man jedem auch lassen, denn das ist gut so.
Ciao

Paysbas

Zitat von: In-Spector am 25. Oktober 2007, 18:29:59
Und wenn eine Gruppe von Menschen etwas Irrationales, für die anderen (Außenstehenden) Unverständliches, und mit einem bestimmten Ritual verbundenes tut und tun will – deutet dies im gewissen Sinne auf Weltanschauung hin.

Weltanschauung kommt einigermassen hin, aber auch Hobby. Und nicht zuletzt ist die angenehme Rasurzeit im Badezimmer meine Zeit.
Herzliche Grüße aus Oberschwaben, 
Paysbas

Honka

Für mich kann ich sagen, daß diese Art (im engl.:Kunst...) Rasur Teil der allgemeinen Weltanschauung ist.

Wie so viele andere hier, habe auch ich ein "spezielles" Verhältnis zu Lebensmitteln, Schuhen, Kleidung, Auto uswusf.

Drei

Zitat von: babypo am 26. Oktober 2007, 11:29:37
wie soll ich denn das verstehen? Du bezeichnest Pfälzer als "zu" gemütlich?
Ich nenne so etwas Charme.....
Mitnichten babypo, Pauschalurteile liegen mir fern. Außerdem wäre das unzutreffend, denn ich bin schließlich selbst einer  ;D
Klar, wenn ich hier nicht arbeiten würde fänd ich das auch recht charmant. Aber so...

John Galt

Ich muß zugeben, das einfache Leben (Gillette-Dosenschaum, Mach3 und das war's) hat auch seinen Reiz.
Denn es leistet schließlich auch das, was es soll: ein glattes Gesicht. Und wer ist wirklich so pingelig und schaut ganz genau hin, ob wirklich alles weg ist.

Aber ich habe es doch lieber, meine Sachen selber zusammenzuschneidern,  die auch wirklich auf meine individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind. Und nicht von der berühmten Formel "one size fits all" abhängig zu sein.

Die meisten Produkte, die man in örtlichen Drogerie- oder Supermärkten findet, sind im übrigen nichts weiter als eine weitere Art von Junk Food: Überall erhältlich, billig und praktisch, doch nicht unbedingt sehr gut für die Gesundheit und letztlich auch unbefriedigend.
Wer ist John Galt?

Paysbas

Zitat von: John Galt am 26. Oktober 2007, 19:09:13
Die meisten Produkte, die man in örtlichen Drogerie- oder Supermärkten findet, sind im übrigen nichts weiter als eine weitere Art von Junk Food: Überall erhältlich, billig und praktisch, doch nicht unbedingt sehr gut für die Gesundheit und letztlich auch unbefriedigend.

Hallo John Galt,

hiermit birngst Du es genau auf dem Punkt. Man (ich) muss nicht unbedingt das kaufen was die Kommerz mir vorschreibt.
Herzliche Grüße aus Oberschwaben, 
Paysbas