Reparatur eines Klingenbruches, gezeigt am Beispiel eines französischen 13/16 Du

Begonnen von Standlinie, 04. März 2020, 22:48:59

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Standlinie

Reparatur eines Klingenbruches, gezeigt am Beispiel eines französischen 13/16 Dubois

Einen Rasiermesser-GAU wird jeder Rasiermesserliebhaber in seinem Rasurleben zumindest einmal erleben. Der Begriff ,,GAU" stammt übriges aus der Reaktortechnik und bedeutet ,,größter anzunehmender Unfall", der bei einem durchbrennenden Reaktorkern entsteht. Das Rasiermesser rutscht bei diesem ,,GAU" auf unerklärliche Weise von seiner Ablage herunter oder gleitet trotz aller Achtsamkeit aus den Fingern heraus, die es zuvor noch sicher festhielten. Und gleich danach erlebt der Rasurliebhaber eine kurze einprägsame und sehr intensive Einführung in die Physik, durch die man das Gesetz der Schwerkraft am Beispiel des freien Falles persönlich kennenlernen darf. Das Rasiermesser fällt auf den Boden, wo sich die vorhandene kinetische Energie schlagartig über einen Stauchungsprozess abbaut. Dieser Vorgang wird durch den gehärteten und daher spröden Rasiermesserstahl begünstigt. In den meisten Fällen entstehen als Folge dieses Stauchungsvorganges Ausbrüche an der empfindlichsten Stelle des Rasiermesserklingenkörpers, also im Bereich der sehr dünnen Schneide.

Was ich eben mit kurzen einführenden Worten beschrieben habe, möchte ich nun an einem passenden Beispiel aus der Praxis erläutern. Das in der Abbildung 1 gezeigte französische Rasiermesser, ein 13/16 Dubois aus Bordeaux, wurde durch einen freien Fall beschädigt.





Abbildung 1:  Ansicht des französischen Rasiermessers 13/16 Dubois vor dem Unfall.





Abbildung 2:  Ansicht der unbeschädigten Rasiermesserklinge.


Der Schaden selbst ist einfach zu beschreiben. Am Ende des freien Falles berührte das Dubois-Rasiermesser mit dem vorderen Teil seiner Rasiermesserspitze den Fliesenboden, wobei durch den Energieabbau ein Stück der Klinge an der Spitze aus der Rasiermesserschneide herausbrach. Die Abbildung 3 zeigt die entstandene Bruchstelle.





Abbildung 3:  Ansicht der Bruchstelle im Bereich des Rasiermesserkopfes.





Abbildung 4:  Eine andere Ansicht der Bruchstelle im Bereich der vorderen Rasiermesserschneide.


Da die gesamte Schneide des Rasiermessers mit Ausnahme der weggebrochenen Spitze unbeschädigt geblieben ist, könnte das Messer noch für weitere Rasuren eingesetzt werden. Allerdings würden diese Rasuren nicht ohne ein gewisses Restrisiko für den Rasurliebhaber ablaufen, denn er könnte sich gerade an der Bruchstelle eine Schnittverletzung zufügen. Die Bruchzone an der Facette ist äußerst scharfkantig. Dieses Risiko sollte niemand freiwillig eingehen.

Was geschieht nun mit diesem beschädigten Rasiermesser? Legt man es als nicht mehr einsetzbares Erinnerungsstück nur noch zur Ansicht in eine Vitrine? Oder wirft man das unbrauchbar gewordene Rasiermesser weg? Oder denkt man vielleicht darüber nach, ob sich dieses Rasiermesser durch eine geeignete Reparaturmaßnahme wieder in einen rasurfähigen Zustand zurückversetzen lassen könnte? Aus meiner Sicht kann das 13/16 Dubois mit dem Klingenausbruch durchaus wieder instandgesetzt werden. Zuvor habe ich mich aber erst einmal mit dem Schadensausmaß an der Rasiermesserklinge auseinandergesetzt und den tatsächlich entstandenen Schaden bewertet. Die Ergebnisse meiner Bewertung des Rasiermesserschadens habe ich in der nachfolgenden Bestandsaufnahme zusammengefasst.


Bestandsaufnahme des eingetretenen Schadens
- es ist ein nicht großer Ausbruch an der Kopfseite der Rasiermesserschneide entstanden,
- weitere Ausbruchansätze sind nicht erkennbar,
- es sind keine Risse in der Nähe der Bruchzone erkennbar (die Benutzung einer Lupe ist hier sehr hilfreich),
- die Heftschalen sind unbeschädigt,
- der Verbindungsniet Heftschalen/Erl ist nicht verbogen,
- die Klingenprägung ,,Pour Barbes Dures" lässt auf einen sehr harten Stahl schließen.


Bewertung der Ergebnisse der Bestandsaufnahme
Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme zeigen, dass der Schaden am Rasierklingenkörper nur örtlich begrenzt aufgetreten ist und keine Einflüsse auf das weitere Umfeld (Klingenkörper und Heftschalen) ausgeübt hat. Der Bruch beschränkt sich also nur auf einen überschaubaren kleinen Bereich der Rasiermesserschneide an der Kopfseite des Messers. Die Bruchstelle kann deshalb durch eine Teilentfernung der ursprünglichen Rasiermesserspitze beseitigt werden, ohne dass die ursprüngliche Kontur der Messerklinge durch diese Maßnahme eine optische Einschränkung erfahren wird. Die Heftschalen müssen daher auch nicht an die etwas verkleinerte Rasiermesserklinge angepasst werden. Der ursprüngliche optische Eindruck des französischen Rasiermessers (siehe hierzu die Abbildung 1) bleibt weiterhin erhalten.

Durch die Instandsetzungsmaßnahme ,,Einkürzen des Klingenkörpers" kann der an diesem Rasiermesser entstandene Schaden beseitigt werden. Den Ablauf dieser Instandsetzung möchte ich hier kurz beschreiben.


Ablauf der Instandsetzung
Vor der eigentlichen Instandsetzung habe ich einige Vorbereitungen getroffen. Dies betrifft im Besonderen die nach wie vor sehr scharfe Restschneide des Rasiermessers, die bei allen Arbeiten am Klingenkörper eine potentielle Gefahrenstelle bildet und die ich zum Ausschluss von Schnittverletzungen zuvor mit einem Tape abgeklebt habe (siehe Abbildung 5).

Die durch die Instandsetzung entstehende neue Form des ursprünglichen Klingenkopfes (ursprünglich ein Rundkopf nach Abbildung 2) habe ich aufgezeichnet (siehe Abbildung 5), da die optische Kontur der Rasiermesserklinge nicht durch die geplante Instandsetzung eingeschränkt werden soll. Weil der Klingenbruch selbst relativ klein ausgefallen ist, habe ich dies zum Anlass genommen, den ursprünglichen runden Kopf des Dubois-Rasiermessers in einen französischen Kopf abzuändern, da diese Kopfform dem Rasiermesser eine elegantere Erscheinung verleihen wird.

Die Abbildung 5 zeigt den Klingenkörper des Dubois-Rasiermessers. Die noch verbliebene Schneide ist abgeklebt: Die vorgesehene neue Kopfform habe ich mit einem Permanentmarker auf die Klinge aufgezeichnet. Der links dieser Grenzlinie befindliche alte Klingenkopf muss jetzt nur noch weggeschliffen oder weggeschnitten und anschließend entsprechend nachgearbeitet werden.




Abbildung 5:  Ansicht der abgeklebten Rasiermesserschneide mit der vorgesehenen neuen Kopfform.


Für die Entfernung des überstehenden Klingenstahls verwende ich keine hochtourige Dremel-Maschine sondern nur eine niedrigtourige Doppelschleifmaschine mit zwei Schleifscheiben. Die Motordrehzahl dieser Maschine erreicht knapp 3000 U/min. Die geringe Drehzahl hat den Vorteil, dass sich der Klingenkörper während des Schleifprozesses langsamer erwärmt. Dies schont den zu bearbeitenden Rasiermesserstahl, weil hohe Temperaturen den Stahl im Bereich der Wärmeeinflusszone sonst weich werden lässt. Um die Entstehung von schädlichen hohen Temperaturen ausschließen zu können, darf die Stahlklinge beim Materialabtrag auch nur für kurze Zeit und nur mit mäßigem Andruck auf die Schleifscheibe gehalten werden. Danach wird die erwärmte Klinge sofort in einem Wasserbad abgekühlt. Meine Erfahrungswerte bei Schleifarbeiten an einer Rasiermesserklinge lauten:
- Klingenrücken oder -oberkante (breiteste Stelle): 3sekündige Berührungs- oder Abschleifzeit, danach sofortiges Abkühlen im Wasserbad
- Schneidennähe (Klinge ist hier äußerst schmal): 1sekündige Berührungs- oder Abschleifzeit, danach sofortiges Abkühlen im Wasserbad

Aufgrund der geringen Zeitintervalle für die Bearbeitung (drei Sekunden schleifen, dann abkühlen) sind die Abschleifarbeiten für die neue Kopfform des Rasiermessers schon recht zeitintensiv. Unabhängig vom zeitlichen Einsatz kann ich aber die Entstehung des neuen Rasiermesserkopfes Schritt für Schritt mitverfolgen, so dass gar keine Langeweile aufkommt. Die Schleifarbeiten sind für mich ähnlich meditativ wie der Steinabzug eines Rasiermessers auch. Das Ergebnis meiner Arbeit habe ich mit der Abbildung 6 festgehalten. Ich musste für die Entfernung der beschädigten Stelle tatsächlich weniger Material wegschleifen als es anfangs geplant war. Die ursprüngliche Bruchzone habe ich abgerundet, sie wird später zusätzlich noch über den Steinabzug angeglichen werden.





Abbildung 6:  Ansicht der durch den Schleifprozess entstandenen neuen Kopfform.





Abbildung 7:  Ansicht der groben Bearbeitungsspuren in der Schleifzone am Rasiermesserkopf.


Die Vorderseite des neuen Rasiermesserkopfes weist recht deutliche Schleifspuren auf (Abbildung 7). Dieser Bereich muss noch entsprechend nachbearbeitet werden. Hierfür verwende ich die Abzugssteine für den Rasiermesserabzug, mit deren Flanken die kleine Stahlfläche anschließend im Nassschliff bearbeitet wird. Einige Abläufe der Bearbeitung geben die Abbildungen 8, 9 und 10 wieder. Die Nachbearbeitung erfolgte auf meinem 400er, 800er und 1000er Naniwa.





Abbildung 8:  Bearbeitung des Rasiermesserkopfes auf einem 400er Naniwa.





Abbildung 9:  Bearbeitung des Rasiermesserkopfes in Schneidennähe auf einem 400er Naniwa.






Abbildung 10:  Bearbeitung des Rasiermesserkopfes. Entfernung einer Schleifkante an der rechten Klingenseite.


Nach Abschluss der eben beschriebenen Arbeitsschritte habe ich das 13/16 Dubois zuletzt noch einmal kurz auf meinen Steinen abgezogen, damit es wieder ohne weitere Einschränkungen für zukünftige Rasuren eingesetzt werden kann. Die Abbildungen 11, 12 und 13 zeigen das nun wieder einsatzbereite Rasiermesser nach der abgeschlossenen Instandsetzung.





Abbildung 11:  Instandgesetztes 13/16 Dubois, Ansicht der linken Klingenseite und der neuen Kopfform.






Abbildung 12:  Instandgesetztes 13/16 Dubois, Ansicht der rechten Klingenseite und der neuen Kopfform.





Abbildung 13:  Ansicht des neuen Rasiermesserkopfes des 13/16 Dubois von vorne.
Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

alvaro


DeSchulz

Sehr schöne Arbeit und wieder super beschrieben. Jetzt stellt sich mir allerdings nur noch eine Frage: Wann kommt dein Buch raus?  ;D ;)
Gruß aus der Pfalz

MRetro

Kompliment, sehr gutes Ergebnis. Man könnte meinen, es sollte so sein.  :)  dh:

Dieter739

Ein sehr spannender Bericht und ein sehr schönes Ergebnis! Das Messer kann sich wieder sehn und noch viel wichtiger, wieder verwenden lassen! Super gemacht!  dh: :)

Und falls der Kopf doch auch mal poliert werden soll - es gibt in Baumärkten auch kleine Schwabbelscheiben und Polierriegel für die Bohrmaschine oder kleine Polierscheiben für Dremel etc. Wobei man auch bei diesen sehr auf die Hitzeentwicklung achten muss. Darf man auch bei diesen kleinen Dingern nicht unterschätzen und immer nur mit Kühlung zwischendurch arbeiten!

LG
Dieter

holzklinge

Absolute feine Arbeit, congratulation.

Das Messer kommt von Bordeaux, gemacht von einem Dubois.
Ob es um RM geht oder Wein aus Bordeaux bin ich immer dabei.  :laugh:


laney

Hallo Peter,

Ich habe das Messer gerade ausgepackt. Vielen lieben Dank für deine Bemühungen!!
Das Messer sieht wirklich toll aus und gefällt mir sogar besser als zuvor. Das hast du wunderbar hinbekommen.
Ich kann es kaum erwarten mich damit zu rasieren.
Was für eine tolle Sache, wenn man Hilfe von Erfahrenen Hobbykollegen bekommt!

Lg
Michael

laney

So, ich habe gerade die erste Rasur damit hinter mir. :)
Peter mein Kompliment, die Schärfe ist wirklich toll. Hatte mich 1 Woche nicht rasiert und es ging wie durch Butter!  dh:
Scharf und sanft!
Außerdem finde ich den neuen Kopf total praktisch. Nun kann ich damit wunderbar meine Koteletten trimmen und die Haare unmittelbar bei den Nasenlöchern kriege ich damit auch weg. Perfekt...

Vielen Dank nochmal und alles Gute!

Michael