Kamisori Restaurierung (Wicklung, Brünierung etc.) Sammelthread mit Berichten

Begonnen von Rockabillyhelge, 22. Januar 2016, 00:24:01

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Rockabillyhelge

Dieser Thread soll allgemein der Restaurierung, Wiederherstellung und Dekorierung von Kamisoris dienen, es wäre schön wenn alle kommenden Beiträge zu dieser Thematik
die keine eigenständigen Großarbeiten (Griffschmieden, Schweißen etc.) umfassen in diesem Thread zwecks Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit gebündelt werden
könnte.

Vorab, hier ein Link zum Thema Kamisoriwicklung aus früherer Zeit:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,10607.0.html

Sowie ein weiterer Restaurierungsbericht:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,1499.0.html

Vorliegendes Kamisori erreichte mich in seiner Ausgestaltung eigentlich so wie ich bisher immer schonmal eines haben wollte, ältere Form der 30er Jahre mit offener, mit rotem
Stoff unterlegter Wicklung, sagen wir mal so, so zumindest der Eindruck als ich es bestellt habe (ich wusste natürlich schon vorher das es kein neues war/ist).
Als es mich dann die Tage erreicht hat musste ich gleich zweimal schlucken, nicht nur das jemand schon dran poliert hatte und die Brünierungslinie der Ura (Rückseite) entfernt hat,
nein, zudem war die Wicklung gar nicht aus Rattan sondern aus irgendeinem komplett verhärteten Kunststoff der mich an alte Stegleitungen der Hauselektrik erinnert hat, kaputt an
der Befestigung und zudem von Rost unterwandert  :(
Da die Hohlung jedoch vielversprechend nach einem guten Messer aussah und ich unlängst mit einem ähnlichen alten Messer sehr gute Erfahrungen gemacht hatte (ist auf einem der
Bilder zu sehen) musste ich dieses Messer aufarbeiten, es ging nicht anders (u.a. und insbesondere aber auch des Rostes wegen) auch wenn es nun insbesondere was die Wicklung
angeht nicht mehr 100% dem Originallook entspricht, aber es ist zumindest zeitgemäß geworden.

So war der Ausgangszustand:











Den Rost konnte ich leider nicht so gut aufnehmen aber die lädierte Wicklung ist ja ersichtlich, besonderer Punkt der mich aber gestört hat war die entfernte Brünierung am Rücken und
der Rückenkante, ich finde es einfach optisch nicht schön wenn man die Reste einer Brünierung sieht und dann relativ unpassend einfach eine schlecht polierte blanke Fläche ansetzt,
zumal eine Brünierung an sich auch einen schwachen Rostschutz darstellt, schwach aber immernoch besser als schlecht poliert.

Nach dem Entfernen der Wicklung präsentierte es sich so:







Schön oder besser gar nicht schön zu sehen ist der kristalin wirkende rot-orange Rost, hätte ich dieses Kami ohne Säuberung bei intakter Wicklung wieder in Betrieb genommen wäre ein weiteres Rosten die Folge gewesen, sicherlich bestand keine Gefahr eines Durchrostens, aber blühender Rost mit Pitting der durch eine helle Wicklung schaut und diese mit der Zeit dann auch rot färbt kann auch nicht der Sinn der Sache sein.

Zum Brünieren und Entrosten habe ich das schon in diesem Thread vorgestellte Verfahren bzw. Set der Fa. Perma Blue genutzt:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,20177.0.html



Ich werde auf das Brünierungsverfahren nicht im Detail eingehen da es bereits im oben gennanten Thread gut beschrieben ist, ich beschränke mich daher auf die Zwischenstufen, zuerst,
so sollte das Endergebnis aussehen, zum Vergleich ein etwas gleichaltes Messer gleicher Form mit intakter originaler Brünierung (wahrscheinlich eine Leinöl Brünierung, diese satte schwarze
Farbe bekommt man mit einer Kaltbrünnierung natürlich nicht unbedingt so hin).




Da der Beitrag etwas lang durch die Bilder wird, folgt der zweite Teil einen Beitrag weiter  :)
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Rockabillyhelge

Vor der Reinigung des Messer mittels der sehr potenten Reinigungslösung von Perma Blue (ein Mix aus Phosphorsäure und einer Reihe anderer, vielleicht glücklicherweise nicht genannter Inhalte  o)) ergab alleine schon das Abreiben mit Entfetter einen etwas ekelig anmutenden Anblick der eher wie die Folgen einer Verdauungsstörung aussah.



Aber nichts desto Trotz, nach Abreiben mit dem Entroster (Handschuhpflicht! über dem Waschbecken) ergab sich da schon ein angenehmeres Bild aus dem glücklicherweise auch die ursprüngliche Linienführung der Brünierung auf der Vorderseite ersichtlich wurde. Den nun gesäuberten & entrosteten Ausgangszustand würde ich als gut bezeichnen.
Mittels der Reinigung wird nicht nur der Rost relativ gut entfernt, auch die alte Brünierung wird weitestgehend entfernt, es stinkt etwas weswegen auch für eine ausreichende Belüftung zu sorgen ist, Phosphorsäure ist kein Spaßprodukt, weiterführende Erfahrungen sind hier zu finden:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,280.0.html





Es folgte die Vorbereitung zum eigentlichen Brünieren, ähnlich wie man sonst lackiert wird alles was frei bleiben soll abgeklebt, ich nutze hierfür ein einfaches aber robustes Isolierband der Fa. Cellpack von Hornbach, zumindest dieses wird von der Brünierung nicht angegriffen, ich betone dies insbesondere da ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen könnte das es bei allen dieser Bänder funktioniert.
Einziger Punkt der eigentlich nicht brüniert werden sollte verbleibt unabgeklebt (die Spitze), hier poliere ich die neue Brünierung am Ende wieder weg da bei diesem Messer die Spitze bzw. der Rücken-Kopf-Übergang auch ab Werk poliert war.







Nun folgte die Brünierung in zwei Gängen (jede Wiederholung vertärkt die Färbung, je nachdem wie gut die chemische Reaktion abläuft wird die gewünschte Färbung erst nach mehreren Wiederholungen erreicht). Der Grad der Färbung reicht mir vollkommen aus, der erste Eindruck nach Entfernen des Klebebandes täuscht allerdings noch etwas da die abgeklebten Teile der Klinge erst nochmal mit Autosol gereingt werden müssen was ich vor dem Wickeln gemacht habe.
Die Brünierung ist in äusserster Sauberkeit vorzunehmen, sie basiert auf der Nutzung von Selenverbindungen die stark giftig sind (!), Handschuhe, Belüftung, Arbeit über dem Waschbecken sowie eine penibele Reinigung nach der Nutzung (u.a. ein längeres Abspülen der Klinge da sich in den Ritzen der Verklebungen noch Reste der Brünierungspaste befinden können!) sind unabdingbar, mit kleinen Kindern im Haushalt würde ich generell von einer Nutzung in der Küche oder der Wohnung abraten.










Es folgt Beitrag 3 zur Wicklung  :)

Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Rockabillyhelge

Wicklungen von Gebrauchsgegenständen im japanischen Bereich sind ein Thema für sich, es gibt unterschiedliche Arten von Wicklungen, teils pragmatisch, teils sehr aufwändig, ich habe mich in diesem Fall für eine schöne, einfache Art entschieden.
Zum Einsatz kam hierbei das von mir bevorzugte Material zum Wickeln, gewachster Baumwollfaden, dieser ist nicht nur verhältnismäßig einfach zu Verarbeiten, er bietet überdies den Vorteil das er dadurch das er gewachst ist schon von vornherein eine gewisse Imprägnierung besitzt. Auch hinsichtlich der Originalität kommt er den teilweise in Japan verwendeten Fäden recht nahe auch wenn er mit 1mm etwas breiter ist als die meisten die ich an Kamisoris sehen durfte, meines Erachtens ist es auf jeden Fall die bessere Alternative zu Paracord oder Kordel die wie ich finde den meist kleinen und feinen Klingen etwas die Luft nehmen auch wenn insbesondere Paracord eine gute Griffigekeit und Schutz vor Verroten der Wicklung gewährleistet.



Da ich mir noch nicht sicher über die Grundfarbe war habe ich mal weis und natur gekauft, dank meiner Tochter die den Naturton für angebrachter hielt habe ich diesen verwendet, eine gute Entscheidung da der Farbton einem Rattanton nahe kommt und überdies auch einem gealterten Faden nicht unähnlich ist (der zu neue Look eines Messerteils sieht zwar bisweilen spannend aus wie man bei vielen herkömmlichen Vintage-Klingen mit neuem Heft sehen kann, kommt für mich als Traditionalist was Kamisoris angeht nicht in Frage).







So, eigentlich ists jetzt fertig, als Finish habe ich das Band nochmal mit klarem Nagellack überzogen (als Ersatz für den in Japan meist genutzten Leim bzw. ein Harz-Öl Gemisch der auch zur Klebung von Wicklungen genutzt wurde/wird -> hier ein Beispiel wo er bei der Wicklung eine Katana Erwähnung findet: http://www.stahlundseide.de/html/tsuka-maki.html).
Hierdurch erfolgt eine weitere, leichte Imprägnierung, die Oberfläche wird kurzfristig etwas härter was sich allerdings im Gebrauch wieder ändert, das Gewebe wird freilich nicht im Nagellack getränkt sondern lediglich bestrichen und trocknen gelassen, nach zwei bis drei Tagen ist der Geruch auch verflogen.



Morgen so hoffe ich habe ich die Gelegenheit es zu schleifen wobei ich mir im Moment die Frage stelle ob ich den Verschliff auf der Vorderseite wieder freilege (unabgeklebt schärfe) oder auf diese Art und Weise belasse, hierfür werde ich mir die vom Gesicht abgewandte Seite nochmal genauer anschauen und dort nach deutlichem Verschliff suchen, gerade bei älteren Kamisoris kann es nämlich vorkommen das man auf der Vorderseite durchaus Verschliff an der Rückenkante findet, auf der Rückseite jedoch nicht was ein Hinweis auf einen Vorschliff zur Begradigung der Schneide sein kann, einem Schleifvorgang der vor dem Brünieren erfolgte.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Stratocaster

alle Achtung, wer sich so viel Arbeit macht, muss ein wahrer Liebhaber sein  dh:

r41_grande


harrahalmes

Hab ich einen Durscht... Ich könnt a halbe Sau ess, so müd bin ich.

medler

Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht immer noch geschwinder als der ohne Ziel umherirrt.(Gotthold Ephraim Lessing)

Mufflon

Ich glaube, ich muss mich langsam doch mal nach einem Kamisori umschauen. Das gefällt mir ausgesprochen gut, von deiner Arbeit mal ganz zu schweigen, die ist große Klasse  dh:

Bye, Klaus

Stefan T.

Beide Daumen hoch!  dh: dh: Sehr hübsch geworden.
Einzig den Nagellack hätte ich persönlich durch eine Tränkung mit Leinöl ersetzt. Nagellack ist ja nicht wirklich für Dauerbeanspruchung geeignet, da er einerseits doch sehr weich für einen Lack ist und andererseits nicht wirklich wasserdicht/wasserabweisend. Da kriecht wieder die Feuchtigkeit durch die Schnur und macht im schlimmsten Fall deine harte Arbeit wieder zu Nichte.
Leinöl ist zwar auch nicht ewig wasserabweisend, aber das Messer einmal pro Jahr mit dem Griff voran in ein Gläschen Leinöl zu stellen und dann ein paar Tage trocknen lassen wird sich denk ich ausgehn. Zumindest halte ich das bei all meinen Holzgriffen so.

Grüße Stefan
"Jeder tut was er am besten kann. Ich mache nichts"

Standlinie

Tolle Arbeit mit viel Zeitaufwand und Hingabe. Das erkenne ich neidlos an und freue mich für Dich, der dieses Schätzchen sein eigen nennen darf und für uns, die wir an Deinen Arbeiten und Anregungen teilhaben dürfen.

Wie bezeichnest Du Dich, Rockabillyhelge? Du sagst selber, Du seist ein  => Jäger der verlorenen Schätze!

Ich würde das jetzt noch ergänzen um:  => Wiederhersteller von vernachlässigten Schätzen!                         dh:
Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

Rockabillyhelge

Danke euch  :D dh:

Hehe, jap, inzwischen ist aus dem einfachen Virus eine Leidenschaft geworden, muss mich bisweilen zwingen ein herkömmliches Messer zu nutzen  o)

@Stefan T: Harzendes Leinöl hatte ich auch in Betracht gezogen, leider hat der Faden das nicht wirklich aufgenommen (denke das liegt evtl. daran
liegen könnte das er bereits gewachst ist, es war harzendes aus dem Künstlerbedarf), da die Messer aber nie wieder in einen Dienst wie früher genommen
werden denke ich wird die Brünierung in Kombi mit der gewachsten Schnur, ausreichender Trockung und Nagellack ausreichen und wenn wirklich was
passieren sollte halte ich es ebenso pragmatisch wie die Japaner, ich mach einfach ne neue Wicklung  :)
Müsste ich für ein täglich im feuchten Einsatz befindliches Messer wickeln würde ich wahrscheinlich ähnlich wie Japaner eine Mischung aus Baumharz und
Öl nutzen oder etwas in Urushi Richtung (allerdings nicht wie bei den in der Bucht erhältlichen Messern, einen Rattangriff einfach dick mit Lack beschichten
find ich persönlich nicht schön).

War aber die Hölle zu schärfen, die Rostnarben waren ekelig und der Stahl (bin gerade am Abklären obs nicht Tamahagane sein könnte, hängt aber von den
Kanji ab, insbesondere jenen die kaum erkennbar sind da jeweils ein Symbol dabei ist das wie ein -Hagane aussieht) hart und zäh, jetzt ists aber schön
scharf und wartet auf seinen ersten Einsatz.

Als nächstes ist für ein anderes Messer eine Wicklung in Kreuztechnik anvisiert, längerfristig will ich mich ja auch an Rattan versuchen   :)
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Tim Buktu

Klasse! Mit solch einer Anleitung kann man sich ein Bild davon machen wieviel Arbeit die Restaurierung ist, wie man zu einem sehr schönen Ergebnis kommen kann und ob man sich das selbst auch zumuten will und vor allem auch zutraut.
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

Grosser

Schöne und liebevoll gestaltete Anleitung!
Vielleicht probiere ich Kamisoris ja doch nochmal aus... :D
Viele Grüße, Christoph

Rockabillyhelge

Mit der Kreuztechnik will es irgendwie noch nicht klappen, dafür habe ich im Netz beim Katana Wickeln folgende Verknotung gefunden:



Klappt bisher nur einseitig und eine farbige Unterlegung will auch noch nicht klappen, kurz, es ist noch Ausbaufähig  :)
Das Verknoten an sich ist kein Problem, nur die Knoten müssen mittig gezogen werden, bei der oben gezeigten einfachen Wicklung lässt sich der
Mittelfaden vor dem Imprägnieren immernoch verschieben (mit Druck), die Knoten bei der in diesem Post gezeigten Wicklung müssen allerdings
von Anfang an sitzen.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Barnie

Helge, Du schaffst das auch ...

Großartiger Bericht. Da bekommt man ja selber richtig Lust ...  :)