Düfte, die der Nassrasierer kennen sollte

Begonnen von baknip, 07. August 2014, 11:04:54

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baknip

ZitatDie Frage ist doch: Hätte Djagilev selbst Djagilev getragen?

Freund Lotse, an Deiner Fragestellung finde ich Gefallen. Und an Deinem Blick darüber hinaus ebenso, auch wenn ich zu jenem erst mit Verzögerung werde Antworten können.

Was den Herrn Djagilev im Flakon betrifft: Lass uns daraus doch eine Aufgabe, ein Spiel, eine Herausforderung draus machen. Wie zum Teufel hälts dieser russische Tanzzampano und Influencer mit dem ihm gewidmeten Duft. Und, um nach vorne zu blicken, wie halten wir es mit Djagilev? Ich habe mein Statement ja schon abgegeben: Djagilev Douze Points!

Nun bist Du dran, lass auf Worte Taten folgen! Dazu habe ich heute ein Päckchen geschnürt, dass morgen in die Post an Dich geht. Drin ist der kleine Flakon von Djagilev (der geschäftstüchtige Herr Roja vermarktet den Duft auch in 7,5 ml) und ich bin ihm auf den Leim gegangen.

Lass und die Aufgabe weiter fassen, so ähnlich wie die Rasiermesser-tifft-Schärfstein-Vergleiche hier im Forum: Was trägt so ein russische Impresario in der heutigen Zeit noch für Düfte, und daran anschließend: Können wir das heute ernsthaft aufsprühen. Als Mann? Zu welcher Gelegenheit?

Ich habe eine Vorauswahl getroffen und reingepackt, freilich mit dem, was ich im Zugriff habe, und was ein Bissi polarisiert: Narcisse Noir, weil es auch 2021 so schön androgyn zwischen dem X und Y pendelt. Oder Shalimar Ode à la Vanille sur la route du Mexique, weil es keine zehn Jahre alt und trotzdem so eine retroesque Dandy-Diva ist. Dazu noch dieses komische Mitsouko als Extrait, soll ja Jacques Guerlains Schätzchen sein, und einen Vintage-EdT-Mini davon.

Schicke dieses Mini-Wanderpaket doch bitte, wenn es soweit ist, an Tim Buktu. Er ist für uns im GRF doch auch Impresario, Djagilev damit vielleicht hautnah auf den Fersen? Und ja, den Flakon ,,Im tiefen Wald" von Divergent hab ich auch dazugelegt. Soll ja eine runde Sache werden hier.


Die Vorbereitungen sind abgeschlossen.


Freies Ausspucken verboten

Tim Buktu

Au, heilix Blechle - äh Wässerle!
Anspruchsvolle Aufgaben werden uns da aufgegeben, mit Spannung erwartet, vielen Dank!
Lösungsvorschläge demnächst in diesem Theater... 
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

lotse

Lieber baknip!
Großartiges Vorhaben! Auch wenn meine Taten letztendlich hier auch nur Worte sein werden, lasse ich diese gerne folgen.
Freu mich drauf!

muck22

was für eine interessante Challenge!
Ich bin auf eure Resultate gespannt. :)

baknip


Da bin ich auch gespannt.

Zitat von: Tim Buktu am 06. Januar 2021, 13:28:43
Wenn es einem danach ist und man mit sich selbst zu Hause auf dem Waldboden im Moos zwischen Pilzen liegen will.

Ugh, mit den Pilzen ist das bei mir so eine Sache. Als die Duftmarke Oriza L. Legrand vor ein paar Jahren wiederbelebt wurde, gab es ein schickes kleines Duftproben-Set. Hatte ich mir vor allem wegen "Chypre Mousse" besorgt. Auf dem Papier hat Chypre Mousse alles, was mir gefallen sollte. Erster Sprüher war top, aber dann haben sich fette Pilze derart breit gemacht, dass mir ernsthaft Übel wurde und ich den Duft abgewaschen haben. Bei weiteren Versuchen waren die Pilze des Grauens wieder da. Guilty hat auch mal probiert und fands arg speziell ("kannst Du behalten").

Das Paket ging heute an Lotse raus. Wenn es bei Dir ist, lass uns wissen, ob Du beim Pilzesuchen im Divergent-Wald erfolgreich warst.

Freies Ausspucken verboten

lotse

Liebe Freunde!
Es geht los. Alles ist tiefgekühlt im Stück angekommen und Diaghilev erwacht im Moment.
Lieber Timbuktu, gib mir etwas Zeit. Das sind alles Düfte, die man ersteinmal hereinlassen muss...

Tim Buktu

Keine Panik aus Rücksicht vor mir - oder vor Rücksicht auf mich - oder aus Rücksicht auf mich?  o)  ;D Egal, lass Dir Zeit, mir pressierts nicht!
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

lotse

Nun zu etwas ganz Anderem:



Roja Dove Diaghilev konnte ich nun über einige Tage probieren und möchte baknip danken, dass ich diesen Duft mit Muße kosten durfte!
Baknips Darstellung des Duftes möchte ich im Großen und Ganzen folgen - auch wenn dieser Duft mit mir keinen Träger finden wird. Warum, wenn er doch so toll ist? Nun, es ist einfach nicht mein Duft. Ein Mantel, der mir nicht steht. Aber beginnen wir am Anfang:
Ich hatte weiter oben ja schon angedeutet, dass Parfums mit den Namen von Berühmtheiten mich interessieren. Meist werden ja zu Düften Phantasienamen geschaffen, eine Armada von Produktberatern und Marktforschern hat dann vorher schon Umfragen und Statistiken ausgewertet. All das funktioniert ja bei einem berühmten Namen nicht. Man kennt ihn oder man kennt ihn nicht. Top oder Flop, wenn man so will.
"Diaghilev" gibt also historische Figur und Zeitrahmen vor. Sergei Pawlowitsch Djaghilew lebte im St. Petersburg der vorletzten Jahrhundertwende. An 1906 dann in Paris. Heute würde man ihn als Manager, Agent oder Produzent bezeichnen. Seine Name ist eng verbunden mit  dem damals revolutionär modernisierten russischen Ballet und hier insbesondere mit Igor Strawinsky. "Le sacre du printemps" oder der "Feuervogel" wird sicherlich vielen zumindest ein Begriff sein.
Ich selbst bin kein Freund dieser Form des Tanzes, bin aber durchaus an Ballett interessiert, seit ich Mitte der Achtziger Jahre mal Pina Bauschs Tanzkompanie auf der Bühne sehen durfte. Aber das nur am Rande.
Diaghilev als Duft: Diaghilev beginnt bei mir mit einem Akkord aus Bergamotte und Orange. Ganz kurz. Dann setzt sofort die sinfonische Komposition ein und der Duft bleib ab sofort orchestral. Das ist definitiv keine Kammermusik. Hier wurde nicht an Instrumenten gespart. Was die Frage aufwirft: Ist Opulenz ein Wert an sich? Ist diese schiere Gewalt an Duft schon alles?
Nein, ist sie nicht. Roja Dove hat bei dieser Komposition nie den Überblick verloren und gibt einem die Chance, das auch zu bemerken. Hier duftet kein Brei und auch jede synthetische Note ist fern. Insofern ist Diaghilev auch historisch korrekt.
Weiter geht es über die Zeit mit Rose und Leder vor der verblassenden Orange und gegen Abend gesellt sich ein staubtrockener Irisduft dazu. Die ganze Zeit vibriert Benzoe und Moschus im Raum und gibt dem Ganzen eine gewisse Schärfe - eine tierische Note. Eichenmoos soll nicht unerwähnt bleiben - auch diese gerbsaure Strenge spielt eine Rolle und gibt dem Duft Disziplin. Es ist schwer, die ganze Zutatenliste zu erschnüffeln. Mir gelang es nicht. Aber ich gehe davon aus, dass die aufgezählten Komponenten von allerlei Spezereien flankiert werden und den Duft dann in der Gänze gewissermaßen "abschmecken".
Aus meiner Sicht ist eine Abstammung vom berühmten Guerlain "Mitsouko" nicht zu leugnen. Aber Diaghilev ist aufgeräumter, klarer und irgendwie "bewusster". Es ist nicht der süßliche Chypre der Jahrhundertwende-Guerlains. Eher eine floral-animalische Duftsinfonie.
Und dennoch auch ein Duft einer vergangenen Zeit, die hier nocheinmal rationaler aufscheint. Diaghilev ist opulent, ist ausschweifend und stark. Aber niemals unklar. Seine Kraft braucht auch einen starken Träger. Dieser Duft feiert eine Zeit, als Duft noch für andere getragen wurde. Damals gab es keine "Bürodüfte". So gesehen ist Diaghilev ein Duft, von dem alle etwas haben können. Nix für Egoisten!
Noch etwas am Schluß: Roja Dove´s Parfums zielen nicht nur auf Käufer, die die Stärke besitzen starke Düfte zu tragen. Es muß auch die Stärke vorhanden sein, diese Parfums zu erwerben. Damit ist die Chance relativ gering, dass jemand in der S Bahn genauso gut duftet....

lotse

#128


Kommen wir zum Klassiker - Mitsouko von Guerlain.
Zur Welt gekommen 1919 aus den Händen des Meisters: Jaques Guerlain.
Mitsouko ist mit seinem japanisierenden Namen unter Anderem eine Hommage an Puccinis Madame Butterfly, einer 1904 uraufgeführten romantischen Tragödie als Oper.
Und Mitsouko ist tatsächlich japonaise. Ein Auftakt aus Pfirsich und Flieder - und was für ein Auftakt! Das wird eine ganze Weile gefeiert, bis dann auch hier Bergamotte und Eichenmoos ein wenig mit der Schwelgerei aufräumen und dem Duft Struktur verleihen. Kurz gesagt: Das Hauptthema, nämlich "fruchtige, florale Süße" wird hier mit ein paar gewürzigen Komponenten so gerahmt, dass der Duft einfach erscheint, obwohl er es nicht ist. Das ist Kunst!
Mitsouko besitzt keine animalischen Noten. Es ist ein Duft voller Schönheit und raffinierter Einfachheit. Damit ist Guerlain wirklich ein "japanischer " Duft gelungen! Gleichzeitig wohnt Mitsouko auch eine Note überreifer, vergehender Früchte inne. Das Vergängliche ist präsent und sorgt für eine Dimension der "Reife" in mehrfacher Hinsicht.
Mitsouko begeistert mich als Parfum ausgesprochen! Auch wenn ich es nicht trage, kann ich aber seine Intelligenz und seine Schönheit bewundern. Mehrere Reformulierungen sorgten im Laufe der Jahre für Verschiebungen in Details. Es ist Guerlain jedoch gelungen, den Geist und die raffinierte Einfachheit zu erhalten. Von daher ist ein Interesse an diesem Duft auch für Nichthistoriker zu empfehlen!
Für Interessenten sei noch angemerkt: Hier wurde 1919 das erste Mal ein synthetischer Duftstoff verwendet, und zwar für den Pfirsichduft --> Aldehyd C-14.
Wie unromantisch...

lotse



Und weiter geht es mit Shalimar Ode à la Vanille - Sur la route du Mexique.
Was für eine Ankündigung!
Guerlains Klassiker Shalimar wird hier als Thema mit Variationen dargeboten – hier entlang des Vanillewegs durch Mexico. Es gibt auch noch eine Variation entlang des Weges durch Madagaskar aber uns beschäftigt hier die Mexico-Variation.
Mexico als Ursprungsland der Vanille ist mir nicht geläufig gewesen. Madagaskar schon eher. Den beiden Vanillezentren ein Parfum zu widmen ist eine schöne Idee des Hauses Guerlain.
Das bekannte Shalimar, eine orientalisch, würzig-florale Chyprekomposition liefert das Thema.
Im Ursprungs-Shalimar ist Vanille eine wichtige Komponente – was liegt als näher, als diesem Duftstoff eine eigene Variation zu widmen?
Die ganze Parfumeurskunst des Hauses Guerlain ist hier einmal mehr zu erfahren. Diese Ode à la Vanille haut mich vom Hocker! Der Duft startet, wenig überraschend: Mit Vanille.
Ohne Schärfe. Weiche und trockene Vanille als dominante Wahrnehmung. Karamell- und Schokoladennoten folgen sachte nach. Tonkabohne und Opoponax sorgen für eine süße Wärme bevor zum Ende hin trocken-pudrige Iris mit einer Ahnung von Weihrauch auftritt.
Diesen Eindruck des Duftverlaufs konnte ich mehrmals zuverlässig ausmachen.
Dieser Duft ist besonders! Der raffinierte Einsatz einer karamelligen Schokonote, ohne den Duft zu einem Gourmand-Duft zu machen, gefällt mir außerordentlich! Das ist für mich ein Aha-Erlebnis aus folgendem Grund: Düfte, die nach Lebensmitteln riechen, sind nicht meine Sache. Klar, ist Kaffeeduft toll. Aber den ganzen Tag nach Kaffee oder Schokolade duften, ist nicht so mein Geschmack. Umso erstaunlicher, dass mir das hier nicht so geht. Dieses Shalimar duftet zwar nach Vanille, Karamell und Schokolade – aber niemals in Richtung Lebensmittel.
Was mich hier umströmt ist einfach nur Balsam für die Sinne. Warm, weich, Zu Hause.

lotse

Ein kleiner Ausflug weg von den Klassikern:



Ob der Nassrasierer diesen Duft kennen sollte? Sagen wir mal so: Um der Unterhaltung Willen – ja.
Pear + Olive meint tatsächlich Birne mit Olive(n). Dieses entwaffnend einfach benannte Parfum in diesem auffallend gefüllten Flakon kommt vom Label Slumberhouse aus Portland/Oregon. Slumberhouse bezeichnet sich selbst ganz zeitgeistig als ,,fragrance project".
Die hübsch anzuschauenden und an Fischlaich erinnernden Glaskugeln im ansonsten sehr einfachen  Flakon dienen dazu, das Volumen im Flakon zu reduzieren. Auch das ganz einfach.
Einmal aus der Flasche gelassen präsentiert Pear + Olive sogleich einen ziemlich authentischen Geruch nach reifer, saftiger Birne. Hossa!
Aber nur kurz. Sogleich stellt sich ein seltsam metallisch anmutender Fettgeruch mit sehr synthetischer Note ein. Ich kenne diese Nuance von anderen amerikanischen Mini-Labels. Möglicherweise ist es ein Iso-E Derivat, was da wirkt. Aber egal!
Dabei bleibt es nun für die kommenden Stunden. Nix ändert sich, der Duft bleibt vollkommen linear. Mit gutem Willen kann man Olivenölgeruch attestieren. Von mir geschätztes Olivenöl duftet aber wesentlich fruchtiger – nicht dieser Synthiepop, der hier wabert. Ich habe diesen Duft einen Tag lang getragen. Dieser Tag war lang. Länger als sonst. Und es bleibt die Frage: Warum möchte man wie Kompott riechen?

lotse



,,Im tiefen Wald"
So heißt ein Duft des rätselhaften Labels Divergent. Tomaya der Parfumeur. Viel konnte ich nicht herausfinden über dieses Parfum, was ja antritt den tiefen Wald verflüssigt zu haben.
Weiter oben wurde ja schon gemutmaßt, ob Pilzgeruch mit von der Partie ist. Nein ist nicht.
Moosgeruch auch nicht. Auch keine Hasen- oder Rehköddel müffeln hier. Hier vergeht kein Holz, kein Schleimpilz triumphiert und auch kein Wanderer verirrt sich in diesen Wald.
Warum? Tja, der Duft kommt offenbar aus dem Chemiebaukasten. Wie bastel ich mir einen Waldduft? Das war die Frage. Die Antwort fand man scheinbar im Duftstoffhandel mit den Konzentraten für Nadelbaum und Konifere sowie einem Rheumacremearoma, was ziemlich zu überzeugen weiß. Das Ergebnis: Künstlicher ,,Waldgeruch". Aber das stimmt so auch nicht. Es ist ein Desaster – ein Koniferendesaster. Es will nicht aus der Haut und aus der Kleidung gehen. Gott sei Dank bleibt das Jaques Guerlain erspart!

Ein anderer Duft auf dem Foto sei erwähnt: Sugi von Comme des Garcon.
Steht da als zweites Röhrchen von rechts. Baknip hatte es freundlicherweise mit in den Duftpacken gelegt, wahrscheinlich wegen meiner Frage nach zeitgenössischen Düften, die das Hier und Jetzt abbilden und nicht so sehr mit den Erinnerungen hantieren.
,,Sugi" ist ein Duft aus einer Collaboration von CdG mit dem ,,Monocle" Label. Aus dieser Zusammenarbeit entstammen eine Reihe von japanisch inspirierten Düften. Das hatten wir ja weiter oben schon einmal. Sugi – das ist eine japanische Zeder.
Den Auftakt macht bei mir auf der Haut Zypresse und Pfeffer getragen von einem zitrischen Akkord. Sehr frisch, sehr fein, sehr geschmackvoll. Zeder und Pfeffer entwickeln sich sodann immer weiter, bis sie einer hübschen Dosis pudriger Iris Raum geben. Es macht Spaß diesen Wandel zu verfolgen. Angeblich spielt Vetiver noch eine Rolle, diesen kann ich nicht ausmachen. Möglich, dass er im Zeder-Pfeffer Duo untergeht.
Sugi ist ein körpernaher Duft mit durchschnittlicher Haltbarkeit. Etwas für den gutriechenden Start in den Tag. Ein Helfer – den Rest musst du selbst hinbekommen. Übrig bleibt ein Hauch Vanille.
Das ist toll.
Sollte der Nassrasierer diesen Duft kennen? Ja.

muck22

#132
tolle Beschreibungen der Parfums! Danke!
Sind die alten Klassiker mit ihren differenzierten und wechselnden Duftentwicklungen doch die bessere Wahl zu den neuen, geradlinigen (eindimensionalen) aus dem Duft-Chemiebaukasten zusammengebastelten Parfüms?
Für mich persönlich: ja. Da bin ich wohl etwas altmodisch...

lotse

Kurzes Innehalten: Apropos Synthetik vs. Natürlich.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Parfum ausschließlich aus natürlichen Duftstoffen ist so gut wie nicht mehr machbar. Das liegt allein schon an der schieren Menge der benötigten Zutaten. Man stelle sich vor, der Duftstoff Vanille, welchen wir weiter oben schon präsent fanden, würde ausschließlich aus den Vanilleschoten gewonnen werden müssen. Es würde nicht reichen und es wäre, so wie zu Zeiten Marco Polos, unbezahlbar. Ich könnte hier nicht über Shalimar und Mitsouko schwadronieren – die Düfte hätten kein Publikum finden können. Zu selten und zu teuer. Andere Zutaten wie Eichenmoos wurden vor einiger Zeit wegen Verdacht auf allergene Eigenschaften stark reglementiert. Die Parfumeure haben es nicht leicht: Immer mehr Duftstoffe bewirken allergische Reaktionen bei immer mehr Menschen. Dieses Dilemma zu umgehen, ist oft nur möglich, indem synthetische Duftstoffe entwickelt werden, die die allergene Komponente nicht haben. Eine Mammutaufgabe, zumal sich die Lage ständig ändert. Die Verschmutzung der Umwelt nimmt mit steigenden Bevölkerungszahlen zu – die Allergiekurve wir dem wahrscheinlich folgen.
Also bitte keine falschen Schlüsse: Natürlicher Duftstoff ist nicht gleich der bessere Duftstoff. Wie Düfte von Comme des Garcon zeigen, kann man auch ganz ohne natürliche Zutaten fesselnde Düfte  schaffen.



Nun also Narcisse Noir aus dem Hause Caron.  Auch so ein Duft aus alter Zeit. 1911 lanciert und seitdem ein beliebter, vor allem Damenduft. Mit der Emanzipation der Frau und der zunehmenden, wenn auch schleppenden Gleichberechtigung, ist ein angenehmer Nebeneffekt für den Mann abgefallen: Solche Düfte können wir nun auch tragen!
Ich würde Narcisse Noir dennoch als einen weiblichen Duft beschreiben, einfach weil ich ihn so empfinde. Sein erster Auftakt auf der Haut entspricht dem Namen: Narzisse total!
Aber Achtung! Was ist denn das? Das ist doch alles Schwarzweiß! Narzisse als Stummfilm in Schwarzweiß mit Klavierbegleitung.
Ernest Daltroff der Parfumeur hat hier, ganz zeittypisch, der Narzisse etwas Orangenblüte beigesellt und dem ganzen einen Akkord aus Sandelholz, Moschus und Vetyver untergelegt. Ein blumiger  Chypre mit einem sehr dunklen Herzen. Moschus hat hier nichts fäkal-tierisches und auch das Sandelholz ist wohldosiert. Vetyver gibt etwas süße Erdigkeit, aber grade so, dass es nicht zum Solisten wird. Nichts schmeckt vor, nur die Narzisse darf als Diva glänzen. Ich denke an Asta Nielsen und freue mich.
Schön, dass so ,,alte" Düfte noch immer nichts von ihrer Qualität eingebüßt haben.
Wüde ich ihn tragen? Nein. Warum nicht? Weil mir blumige Parfums nicht so stehen. Chypre als gesamte Duftrichtung ist eher nicht so mein Ding. Dank baknip habe ich aber nun einen zweiten Blick auf einige Chypres werfen können und mein Interesse ist geweckt.

Die alten Düfte tragen eine Bürde: Viele ihrer Nuancen sind inzwischen Bestandteil von Putzmitteln und Raumpflegeprodukten. Das ist hart! So kann es passieren, dass ich las, Narcisse Noir erinnere an den Geruch von Klosteinen. Na herzlichen Glückwunsch! Aber so ist das eben. Düfte sind stark gekoppelt an Erinnerungen, abgelegt in manchmal verstaubten Ecken. Ein Duft kann dann diese Erinnerung wecken und auch die Bilder dazu werden imaginiert. In Parfumforen kann man seitenweise die daraus folgenden Ergüsse lesen. Grauenhaft! Wer will schon wissen, ob Lenchen Müller mit Larry Larson traumhafte Tage an der Amalfiküste erleben durfte? Niemand!
Also liebe Leser: Aufpassen! Düfte mit der Zutat Moschus können immer auch nach tierisch, menschlichen Flüssigkeiten riechen. Das ist ja grade das Schöne am Moschus! Wer bei dieser leichten Pissnote gleich schnappatmet und das Klo desinfiziert, ist dem Moschus nicht gewachsen.
Moschus ist das wilde Tier der Duftzutaten. Da steckt man ein Revier ab, da wird klar markiert. Man wird Moschus nicht in Bürodüften finden und er passt nicht zum 11.00 Uhr Meeting mit dem Thema ,,gendergerechte Sprache".

lotse

Als letzter dieses Duftmarathons ein Duft von CB I Hate Perfume.
Klingt wie ein Rapperlabel und legt beim Duftnamen gleich nach:
#405 M5 Where We Are There Is No Here
Wo wir sind, ist kein Hier.



Aha. So ist das also. Antiduft? Parfum ja, aber man hasst es? Und wo man es trägt, ist Nirgends?
Das ist eine Menge Negation und die Spannung steigt: Was wird das mit mir machen?
Nun es macht erstmal, was alle machen – es duftet. Wonach? Moschus. Ja, es duftet nach Moschus und zwar Moschus im MP3 Format. Und das Verrückte: Es funktioniert! Ja, dieser synthetische Moschus funktioniert. Ein Funktionsduft. Sie wollen Moschus? Bitte, Sie kriegen Moschus! Bezahlbar? Na klar! You get what you pay for! Zack. Aus.
Aber mal im Ernst: Synthie-Moschus mit IsoE Super und noch irgendwas. Vielleicht.
Dem Synthie-Moschus fehlt die epische Breite des Originals. Irgendwie schmalbrüstig, hatte man zuerst Diaghilev in der Nase.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Passt bestimmt gut zu molekularer Küche und Nerds, die dem Apple Universum zum Opfer fielen.