Zusammenhang zw. Haartest und Rasurschärfe

Begonnen von Waldi, 15. März 2016, 15:51:16

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Waldi

Zum Zusammenhang (bzw. dessen Fehlen) zwischen Haartest und sanfter Rasur ist schon viel geschrieben worden. Das meine ich aber nicht. Meine Erfahrung ist begrenzt, vielleicht könnt Ihr mir helfen, folgende Beobachtung einzuordnen:

Ich besitze drei rasurbereite Messer: ein altes Otto Fromm, das von Bartisto geschärft und von mir seitdem auf dem Leder scharf gehalten wurde, ein nagelneues Aust und ein Regilo, das ich selbst geschärft habe.

Ich habe alle drei Messer in den letzten Tagen benutzt und war etwas irritiert. Ich habe daraufhin alle drei Messer mit je 20 Zügen je Seite geledert und einen Haartest mit denselben Haaren gemacht (drei Haare, aber alle am selben Tag auf meinem Kopf geerntet) und dann die Messer an drei Tagen hintereinander mit derselben Seife und demselben Rasurablauf benutzt.

- das Fromm schaffte den Haartest mit Mühe und leicht ziehender Bewegung, rasiert ordentlich.
- das Aust schafft den Haartest problemlos, rasiert aber schlechter, als das Fromm.
- das Regilo schafft keinen Haartest mehr (direkt nach dem Schärfen wenigstens ansatzweise), rasiert aber mit Abstand am gründlichsten.

Wie kann das sein? Nochmal: mir ist klar, daß der Haartest erstmal "nur" aussagt, daß das Messer den Haartest schafft - und dementsprechend scharf ist. Letzteres steht dann aber mal fest. Mir ist auch klar, das damit rein garnichts darüber ausgesagt wird, ob das Messer sanft rasiert. Aber ein Messer, das den Haartest schafft, sollte doch - ob sanft oder agressiv - eigentlich erstmal gründlicher rasieren, eben weil es scharf ist, als ein Messer, das diesen nicht schafft. Oder nicht?

Oder bin ich ganz auf dem falschen Dampfer, weil das Fromm und das Regilo halbhole Messer sind und das Aust ein vollhohles? Aber das sollte doch, weil es sich den Gesichtskonturen etwas besser anpassen kann, per se einen Tick gründlicher sein.

Ich bin verwirrt.

Fürs Protokoll: das Fromm empfinde ich als am agressivsten (kann sein, daß es nach einem halben Jahr langsam mal auf den Stein muss), mit dem Aust schaffe ich drei Touren ohne Irritationen (bei denen aber mehr fühlbare Stoppeln über bleiben, als mit zwei Runden Fromm...), das "stumpfe" Regilo empfinde ich als das sanfteste Messer und ich habe damit (drei Touren) die bisher glatteste Rasur ever hinbekommen.

Bengall Reynolds

Könnte das Regilo einen weniger ausgeprägten Hohlschliff haben?

Anderseits können noch einige andere Gründe für diese Wahrnehmung  verantwortlich sein.
Ein instabiler Grat bzw. eine nicht richtig durchgeschärfte und zur Haartestauglichkeit gelederte Klinge. Wird in der Regel als sauscharf wahrgenommen, ist es aber eigentlich gar nicht.
Anzunehmen wäre das beim Aust und würde auch erklären warum mehr Stoppeln stehen bleiben.

Wie sieht's aus mit der Klingenbreite? Haben alle Messer die gleiche Klingenbreite?
Gerade bei sehr starkem Barthaar kann eine schmalere Klinge, gerade bei Anfängern, als sanfter empfunden werden.
On a long enough timeline, the survival rate for everyone drops to zero.

Waldi

Zum Aust: puh, das wäre ja ein Ding. Bisher hatte ich davon nur Gutes gehört. Muss mein Messer hier vielleicht doch mal vorstellen, mir sind da noch zwei Sachen aufgefallen.

Das Fromm ist 15/16" breit, also das schmalste Messer. Genau wie das Regilo ist es halbhohl. Das Aust ist vollhohl geschliffen.

Bengall Reynolds

Das muss beim Aust auch nichts schlechtes heißen und ist in der Regel schnell behoben. Vielleicht hast Du auch einfach noch kein Gefühl für den richtigen Winkel?

Sofern das Fromm mit 15/16 das schmalste Messer ist solltest Du mal Detailfotos einstellen.
15/16 und breiter in halbhohl wären (aus Deutscher Fertigung) ne echte Seltenheit.

Halbhohler Schliff beim Fromm und Regilo bestätigen allerdings meinen Verdacht in Sachen Anfängerfehler.
Derbere Schliffe verzeihen Ungenauigkeiten beim Ansetzwinkel besser und werden daher oft als sanftere Rasierer empfunden.

Ganz nebenbei:
Der Haartest ist nur ein Indikator für die Betriebsschärfe eines Rasiermessers. Man kann dabei aber auch richtig daneben liegen bzw. gibt es Fälle in denen der Haartest mit Bravour bestanden wird, das Messer aber für eine Rasur nahezu unbrauchbar ist.
Mit etwas Sach- und Fachkenntnis indes ist der Haartest ein nützlicher Behelf.
On a long enough timeline, the survival rate for everyone drops to zero.

Waldi

Zitat von: Bengall Reynolds am 15. März 2016, 22:38:07
Sofern das Fromm mit 15/16 das schmalste Messer ist solltest Du mal Detailfotos einstellen.
15/16 und breiter in halbhohl wären (aus Deutscher Fertigung) ne echte Seltenheit.
Reichen die ;D? In D gefertigt, allerdings für den US-Markt. Selten aber offenbar trotzdem.

Zitat von: Bengall Reynolds am 15. März 2016, 22:38:07
Halbhohler Schliff beim Fromm und Regilo bestätigen allerdings meinen Verdacht in Sachen Anfängerfehler.
Derbere Schliffe verzeihen Ungenauigkeiten beim Ansetzwinkel besser und werden daher oft als sanftere Rasierer empfunden.
Tscha, was soll ich sagen? Ich versuche mich an Bartistos Tip zu halten, daß der Rücken des Messers ca. um das Anderthalbfache seiner Stärke (Dicke) angehoben werden sollte. Aber als Anfänger mit einem knappen halben Jahr Messerrasur in den Fingern sind das natürlich noch keine konstanten, sicheren Bewegungen.
Allerdings: wenn ich mit dem Regilo den Winkel falsch erwischen würde, müsste es doch entsprechende Resultate zeitigen (also eben auch nicht sauber rasieren). :-\

mich

Zitat von: Waldi am 15. März 2016, 23:22:42
Zitat von: Bengall Reynolds am 15. März 2016, 22:38:07
Sofern das Fromm mit 15/16 das schmalste Messer ist solltest Du mal Detailfotos einstellen.
15/16 und breiter in halbhohl wären (aus Deutscher Fertigung) ne echte Seltenheit.
Reichen die ;D? In D gefertigt, allerdings für den US-Markt. Selten aber offenbar trotzdem.

Also wenn das im Hintergrund normales Karopapier mit 0,5 cm Linienabstand ist, sehe ich da ein 11/16, kein 15/16.

Waldi

Das ist richtig, da habe ich mich verschrieben! Gemeint waren natürlich 11/16!!
Tut mir leid, daß ich damit Verwirrung gestiftet habe.

Fromm: 11/16"
Regilo: 13/16"
Aust: 7/8"

Aber spielt die Breite des Messers für meine Fragestellung wirklich eine bedeutende Rolle?

Stratocaster

Werter Waldi,
nimm' doch diese ganzen Masse und Winkel erstmal nicht allzu ernst. Wenn du dich zu sehr damit befasst, kommst du höchstens in einen Zustand der Verwirrung. Klar, du willst scheinbar tief in die Materie einsteigen, aber die Ahnung und das Wissen kommt mit der Erfahrung und dafür braucht es Zeit.
Nimm' dir ruhig diese Zeit..... 

Meine Messer von Aust habe ich übrigens rasurscharf out of the box bekommen, wohingegen ich z.B. bei Wacker schwer enttäuscht war, was die Schärfe betrifft.

holzklinge

Zitat von: Stratocaster am 16. März 2016, 11:32:53

Meine Messer von Aust habe ich übrigens rasurscharf out of the box bekommen, wohingegen ich z.B. bei Wacker schwer enttäuscht war, was die Schärfe betrifft.

das will sagen, wenn ich gut verstehe, dass bei Wacker nicht mehr alles in Ordnung sein soll  :'(. wenn ja, warum denn ?  ???

holzklinge

bei mir war Haartest nicht gelaufen, und doch bin ich ganz gut u. ziemlich leicht rasiert

Bengall Reynolds

Auslieferungsschärfe beim Herrn Wacker lasse ich jetzt mal außen vor  ;D da gibt's schon genug Lesestoff seit einigen Jahren.
Ich bin dennoch ein Fan seiner Messer und liebe alle Wackerlinge in meiner Sammlung.

Beim Herrn Aust ist die Auslieferungsschärfe deutlich positiver empfunden worden, wobei es auch hier sicherlich ab und zu mal einen Ausreißer geben kann.

Breite und Stärke einer Klinge spielen natürlich oft eine ganz wesentliche Rolle beim rasieren.
Stärkere oder schmalere Klingen verzeihen die typischen Anfängerfehler deutlich großzügiger als sehr breite, dünn ausgeschliffene Klingen.
Friseure haben in Deutschland bis in die 60er Jahre vornehmlich 3/8 und 4/8 Rasiermesser verwendet, da diese als Allrounder eine bessere Figur abgegeben haben.
Herr Wacker hat mir auch vor Jahren schon mal erzählt, dass alles über 5/8 in Deutschland lange Zeit einen sehr schwierigen Stand hatten.
On a long enough timeline, the survival rate for everyone drops to zero.

sandoval

Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, das kein echter Zusammenhang zwischen Haartest und sanfter Rasur besteht.
Also im Sinne von wissenschaftlich messbar oder so.

Allerdings will ich vor der Rasur wissen ob die Schärfe des Messers stimmt. Also mache ich nach dem Abledern einen Haartest.
Das ist für mich ein einfacher Test zur Mindestvoraussetzung die das Messer erfüllen muß, bevor ich überhaupt anfange mich damit zu rasieren.
Bin bisher gut damit gefahren und werde es weiter so machen.
,,Rede einfach, rede langsam und sag nicht zu viel. (Talk low, talk slow and don't say too much.)"
John Wayne (* 26. Mai 1907 † 11. Juni 1979 )

Waldi

Zitat von: sandoval am 17. März 2016, 08:33:40
Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, das kein echter Zusammenhang zwischen Haartest und sanfter Rasur besteht.

Das bestreite ich doch auch garnicht. Und es war ja auch ausdrücklich garnicht die Frage (s. Eingangspost). ;)

Die Frage war: kann es sein, das ein Messer, das den Haartest nicht oder nur mit Mühe besteht, gründlicher rasiert (unabhängig von der Frage ob sanft oder nicht), als ein Messer, das denselben HT besteht, nach herrschender Lehrmeinung also schärfer sein sollte.

Brauchbarste These bisher: was ich eingangs beschreibe liegt eher an der unterschiedlichen Geometrie der drei Messer in Zusammenhang mit meinen überschaubaren Rasurfähigkeiten, isb. hinsichtlich des Anstellwinkels.

Ich werde also fleißig weiter üben und bin gespannt, wann ich das Potenzial des Aust voll nutzen kann.

Heute morgen habe ich mich übrigens mit meinem zweiten selbstgeschärften Messer rasiert, einem alten Wiener Schaber, dessen Klingenbreite nur 13,6mm beträgt. Nach dem 1000er rasierte er problemlos Armhaare (bin ich wohl doch nicht zu blöd zu), nach zwei Belgiern habe ich noch auf dem Escher poliert. Facette war danach fein poliert, ohne Spuren der Steine vorher, der Schneidgrat wie mit dem Lineal gezogen. Haartest: erst nach dem Ledern mit Ach und Krach. Rasur war gründlich (wenn auch - der Vollständigkeit halber - recht ruppig).

Senser

Wenn ich ein Messer wirklich vergleichend beurteilen möchte, dann geht das nur mit Messern von vergleichbarer Geometrie und Qualität. Zwar benutze ich fast immer für den 1. DG eine breitere, gerne auch derbere Klinge, und für den 2. DG. dann meist eine Klinge um 5/8 und möglichst fein ausgeschliffen, aber beide Messer müssen scharf sein, also auch den Haartest bestehen. Nicht jedoch die hier oft beschrieben HTs. mit 1 Meter Abstand vom Haltepunkt und schon bei bloßer Annäherung der Klinge löst sich das Haar in Luft auf. Solche Messer würden mit Sicherheit ein Blutbad anrichten.
Kann es denn sein, dass Du bei dem Messer welches den Haartest gar nicht besteht, mehr Druck ausübst, die Schärfe aber doch noch ausreicht, um das Haar zu durchtrennen? Das würde die Gründlichkeit erklären. Das kann aber auch mal ordentlich schief gehen, denn irgendwann wird der Druck doch mal etwas zu groß, und dann geht der Schnitt aber richtig tief.
Meine Faustregel lautet: auf den Steinen alles rausholen was geht und nach Pasten (meist mit Eisenoxid) und ordentlichem Ledern geht der Haartest wieder etwas zögerlicher als direkt nach dem feinsten Stein. Und meistens ist das Ergebnis im Gesicht dann zufriedenstellend.
Einem Anfänger empfehle ich aber immer nur ein eiziges Messer für die gesamte Zeit, bis man nicht mehr über Anstellwinkel, Zahl der Lederzüge, und all den Kram nachdenkt, sondern ohne viel Tam Tam losrasiert. Dann erst sollte man andere Klingen testen, denn jetzt ist die Motorik weit genug entwickelt, um instinkiv auf das Verhalten einer Klinge zu reagieren.

Gruß
Senser


Waldi

Hallo Senser,

vielen Dank für das ausführliche Feedback - der Dank gilt natürlich auch allen anderen, die sich beteiligt haben!

Zitat von: Senser am 17. März 2016, 17:52:09
Kann es denn sein, dass Du bei dem Messer welches den Haartest gar nicht besteht, mehr Druck ausübst, die Schärfe aber doch noch ausreicht, um das Haar zu durchtrennen?
...
Einem Anfänger empfehle ich aber immer nur ein eiziges Messer für die gesamte Zeit, bis man nicht mehr über Anstellwinkel, Zahl der Lederzüge, und all den Kram nachdenkt, sondern ohne viel Tam Tam losrasiert. Dann erst sollte man andere Klingen testen, denn jetzt ist die Motorik weit genug entwickelt, um instinkiv auf das Verhalten einer Klinge zu reagieren.

Nein, gedanklich stelle ich mir vor, daß ich nur den Schaum vom Gesicht streifen will. Bevor ich mit dem Messer angefangen habe, habe ich ein halbes Jahr gehobelt, auch da ist es ja wichtig, fast drucklos zu rasieren. Seit Mitte letzten Jahres habe ich mich hin und wieder mit dem Messer rasiert, seit den Weihnachtsfeiertagen ausschließlich. Bis vor zwei Wochen hatte ich nur mein Otto Fromm.

Aber gleichwohl: wenn wir kurz nachrechnen, sind das insgesamt vielleicht hundert Rasuren mit dem Messer. Wieviele Wiederholungen braucht es noch gleich, bis es wirklich perfekt sitzt? Um die 10.000?
Es wird also wohl schlicht daran liegen, daß mir die Praxis fehlt, um zB das vollhohle Aust wirklich ausreizen zu können.

Zitat von: Senser am 17. März 2016, 17:52:09
Meine Faustregel lautet: auf den Steinen alles rausholen was geht und nach Pasten (meist mit Eisenoxid) und ordentlichem Ledern geht der Haartest wieder etwas zögerlicher als direkt nach dem feinsten Stein. Und meistens ist das Ergebnis im Gesicht dann zufriedenstellend.

Und da schonmal sowieso. Ich werde mal schauen, ob ich irgendwo noch ein paar brauchbare Übungsobjekte herbekomme (ebay, etc.) und einfach weiter üben.