Komplettrestauration / Aufarbeitung eines ERFA Rasant mit Federwechsel

Begonnen von Rockabillyhelge, 21. März 2014, 01:02:12

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Rockabillyhelge

Manchmal ist es so, da weis man spätestens wenn das Objekt der Begierde den heimischen Schreibtisch erreicht warum es so preiswert war  :-\

Ausgangszustand
In diesem Fall war es ein ERFA Rasant der 3.Version welchen ich für einen guten Freund aus den Staaten preiswert in Bulgarien erstanden habe,
nun, an der äusseren Gestalt gab es mit Ausnahme der üblichen Verschmutzungen (leichte Abbplatzungen der Hammerschlaglackierung, allgemeine Verschmutzungen und oberflächlichen Rost) nichts zu bemängeln, bis ich ihn geöffnet habe und leider sehr zu meinem Missfallen feststellen musste das sich leider im Adjustierbereich nichts mehr adjustieren ließ und da ein nicht adjustierbarer Adjustable als solcher eigentlich keinen Sinn macht musste ich ausprobieren ihm eine große Inspektion mit Runderneuerung zu verschaffen.

Säuberung

Alles hat damit begonnen das er ersteinmal gründlich mehrere Tage zum Einweichen in Seifenwasser und anschließend viele Gänge im Ultraschallbad hinter sich zu bringen hatte, hierdurch konnten Seifenreste etc. problemfrei entfernt werden, die Adjustierplatte hat sich dadurch trotzdem nicht gelöst.

Im Verdacht stehend komplett verkalkt zu sein musste ich daraufhin auf etwas härtere Geschütze zurückgreifen und habe den Hobel, trotz erheblicher Angst die Lackierung zu ruinieren in Essig sowie Zitronensäure Lösung eingelegt und im Ultraschallbad gereinigt, das Ergebnis war ein entkalkter Hobel, ohne weitere Beschädigungen der Lackierung (Essig & Zitronensäure wurden etwa im Verhältnis 1:10 eingesetzt, die Verweildauer im Säurebad war auf höchstens 10min begrenzt und anschließend wurde orentlich mit Wasser "neutralisiert"), aber leider auch ohne merkliche Veränderung an der Verstellbarkeit der Adjustierplatte.

Entfernen / Lösen der Adjustierplatte

Langsam am Erfolg des Projektes zweifelnd habe ich noch härtere Geschütze aufgefahren und begonnen vorsichtig mit einem kleinen Schlitz-Schraubendreher begonnen leicht die Adjustierplatte anzuhebeln, dieses hatte zur Folge das (unter Einbußen kleiner Lackstellen) die Adjustierplatte zumindest im Bereich der Zapfenführung gelockert wurde, eine Höhenverstellbarkeit stellte sich trotzdem nicht ein, dafür ließ sich der Zwischenraum zwischen Adjustierplatte und Bodenplatte nun gut mittels Pfeifenreiniger und Wattestäbchen weiter reinigen, der dort befindliche Rost steigerte jedoch nur noch weiter die Unruhe und sollte mich auf den Kern des Problems hinweisen.



Das eigentliche Problem weswegen die Unterplatte sich nicht mehr bewegen ließ bestand nämlich im inneren und zwar in einer komplett verrosteten Feder, welche in ihrer Führung derartig aufgequollen war das der Rost/Metall/Kalk-Mix keinerlei Bewegung zu ließ.
Um die Feder zu erreichen musste ich nun mittels eine Spitzzange die Führung der Gewindestange der Oberplatte im Kopf, an welcher die Adjustierplatte durch eine Umbördelung befestigt ist, aufbiegen:





Das zurück biegen der umgefalzten Aluminiumhüle (welche höchstwahrscheinlich in einem Stück als Drehstück des Griffes ist) ist ein sensibeler Punkt da Aluminium nur bedingt (und in diesem Falle gealtert) schadfrei zu biegen ist, in diesem Fall hat es geklappt, ist aber als One-Way, als nicht unbedingt zu wiederholende Aktion zu werten da bei einem zweiten Rückbiegen das Material wahrscheinlich reissen oder brechen wird.

Wie auf der Adjustierplatte zu sehen ist ordentlich Rost im Federgang, ein Teil der Feder ist sogar auf der Platte eingebacken (und ließ sich letztendlich auch nicht mehr entfernen). Technisch gesehen interessant ist der ausgefranzt wirkende runde Führungsteil unter der Adjustierplatte, ob dieser von Natur aus ausgefranzt als Relikt des Gusses oder im Zuge der Reparatur oder des Rostbefalls zerstört wurde ist nicht erkenntlich, die eigentliche Aufgabe, das Abschirmen des Federganges vor äusseren Einflüßen bleibt jedoch trotz Ausfransung und geringer Tiefe erhalten.

Entrosten und Entfernen der Feder

Es folgte eine Grobreinigung der verrosteten, zugänglichen Stellen mittels Zahnbürste und Dremel Messingrund- sowie topfbürste.
Aufwändig und langwierig sollte sich der folgende Schritt erweisen, in diesem Fall besonders erschwert durch die Säureempfindlichkeit des Zinkdruckgusses.



Zum Rostlösen habe ich 20% Phosphorsäure verwendet, eine Konzentration welche ich auch zum entfernen von Rost an Messern verwende.
Zamac und Zinkdruckguss sind empfindlich gegenüber Säuren da diese in aller Regel die Bildung von Oxiden anregen welche das Material zum "Rosten" anregen und dadurch eine der Zinkpest ähnliche Reaktion mit gleichem, zerstörenden Ergebnis auslösen können, daher wahrscheinlich auch wieder eine Obe-Way Aktion.
Das Aluminium der Innenhülse wird indes durch die Säure auch oxidiert, es bildet sich allerdings nur eine weisse, ungefährliche Schicht von Aluminiumoxid welche eher eine konservierende denn eine zerstörende Wirkung hat.

Bedingt durch die niedrige Konzentration der Säure waren entsprechend viele Wiederholungen nötig, hierbei habe ich stets die Rostoberfläche mit Säure beträufelt bis diese komplett bedeckt war, ca. 5-10min gewartet, in dieser Zeit ordentlich mit dem schmalen Schraubenzieher darin gekrazt (man sieht schnell wie der oberflächliche Rost sich löst) um anschließend unter viel fließendem Wasser zu spülen und mit einer Nagelbürste weiter zu kratzen.
Nach und nach wurde auf diesem Wege der nicht verrostet Kern der Feder sichtbar, welcher Gang für Gang freigearbeitet werden musste und mittels Spitzzange vorsichtig auf-/ausgebogen wurde (siehe Pic weiter oben).
Nach einer ganzen Zeit ließ sie sich in zwei Teilen (ist mir währenddessen einmal durchgebrochen) komplett entfernen.



Die verwendete Feder ist von starker Federkraft gewesen und ein, meines Erachtens, Konstruktionsfehler bezogen auf die Verwendung im geschlossenen Hobel da sie nicht aus einem Runddraht sondern aus einem Flachdraht besteht / bestand, dadurch ist die Angriffsfläche für den Rost bei zusammengedrückter Feder ungleich größer als bei Federn aus Runddraht.

Nachlackierung der Lackschäden

Unwissend ob Emaille-Lack (Humbrol) für die Lackierung nicht grundierten Zinkdruckgusses geeignet ist habe ichs einfach mal gemacht wobei die Farben nicht 100% dem Original entsprechen aber recht nahe rankommen.
Der Lack hatte eine durchschnittliche Trockenzeit von 3 Tagen bis zur Grifffestigkeit, ich habe hierbei nicht den satten, gemischten Lack wie er nach dem durchmischen im Döschen entsteht sondern jenden, dünnen Lack genommen welcher sich auf der Unterseite des Döschendeckels sammelt nachdem das Döschen geschüttelt wurde.
Diesen dünneren Lack habe ich genommen da ich erstmal nicht mit Lösungsmitteln (im Lack ist schon genug) verdünnen wollte, ich aber auch vor dem satten Lack aufgrund der hohen Schichtdicken zurückgeschreckt habe, ob der Lack ausreichend ist/war wird sich zeigen.
Ein kleiner Vorteil des ursprünglichen Lackes ist das das Hammerschlagmuster durch welche Reaktion auch immer, sich auf dem Zink abgebildet hat und bei der dünnen Neulackierung erneut zum Vorschein kam  :)







Zusammenbau - Fixierungen

Den Fehler einer zu strammen, flachen Feder wollte ich natürlich nicht wiederholen, deswegen habe ich aus dem Zubehör im Baumarkt (der mit dem Yipiee YaYa ...) eine passende Feder, welche in Länge, Durchmesser und Kraft wesentlich besser als das Orignal ist verbaut.
Als Einbettung der Feder habe ich Armaturenfett genommen, welches nicht nur Lebensmittelecht ist sondern zudem auch bei höheren Temperaturen nicht flüssig wird und so hoffentlich lange im Federgang verbleibt.
Allerdinngs der wichtigere Part war, wie kriege ich die Adjustierplatte fixiert, so dass sie sich a.ordentlich wieder befestigen und b.wieder ein ähnliches Spiel wie im Ursprungszustand hat?

Naja, es gibt so manchen der alles mit Rasterbändern (auch Kabelbinder genannt  ;D) repariert und wahrhaftig, ihre Möglichkeiten sind nicht nur auf das fixieren von Kabeln begrenzt, die Breite entspricht weitestgehend dem späteren Maximalspalt (Einstellung 4 von 3, kurz bevor die Oberplatte aus dem Knopfgewinde befreit wird). Durch Rasterbänder unter der Adjustierplatte habe ich damit den Maximalspalt definiert und die gefettete Feder eingesetzt:









Die Adjustierplatte wurde anschließend mit weiteren Rasterbändern von oben fixiert um beim Zurückfalzen der Aluminium Innenhülse in korrekter Position zu sein.





Zusammenbau - Wiederverschluss des Hobelkopfes

Wie weiter oben schon beschrieben ist Aluminium nicht gerade biegefreundlich, was mich beim letzten Schritt wirklich am heftigsten beunruhigt hat, es glich schon einem kleinen Thriller am Schreibtisch, hatte ich doch Angst entweder die Innenhülse zum reissen zu bringen, oder die Innenhülse (welche ja Bestandteil des Griffes ist und fest mit diesem verbunden) durch zu festes Klopfen in den Griff zu schlagen.
Gott sei Dank erwiesen sich meine Sorgen als unbegründet, mit einem Körner und Geduld beim Klopfen ließ sich die Innenhülse wieder umfalzen wodurch der Kopf jetzt wieder in einem Stück verbunden ist.

Der auf dem Bild zu sehende Hammer (nutze ich normalerweise zum Vernieten von Messern) erwies sich allerdings als zu klein, habe dann einen schmalköpfiges 250gr Exemplat benutzt, ähnlich einem Fliesenhammer.





Finish und Ende

So, Hobel zusammengebaut, funktionstüchtig, jetzt kommt noch der springende Punkt, nämlich der auf der Kopfseite welcher die korrekte Gewindestellung angibt, hierfür habe ich (etwas zum Ärger meiner Gattin) das Allheilmittel Nagellack verwendet, ganz so wie ich es auch für Progress und Adjustable mache, vorsichtig punkten und Überstand mit einem in Nagellackentferner (habe Acetonfreien verwendet, vorsichtig eingesetzt sollte aber auch anderer klappen) Wattestäbchen entfernen, e Voila, fertig: (zum Vergleich die Urversion daneben)



Endbetrachtung - Tips












- eine solche Restauration ist in der Regel One-Way und nicht problemfrei wiederholbar (wie auch bei Gillette Adjustables)
- immer Zeit lassen und sensibel mit dem Material umgehen, Zinkdruckguss, Aluminium ist zickig und empfindlich
- Kleine erhabene Macken im Zink lassen sich problemfrei mit Schleifpads o.ä. glätten (habe ich in dem Fall nciht gemacht)
- nicht zuviel Fett verwenden (hab ich gemacht), das Zeug ist klebrig und blöd wieder zu entfernen
- auf alle Sachen dreimal achten, einmal zu ist zu (siehe Punkt 1)
- Vorsicht im Umgang mit Säure, Zeit lassen, weniger ist mehr, besser einen Schritt 10x wiederholen als Schaden anrichten (!)
- Schutzbrille im Umgang mit der Säure tragen (und bei empfindlicher Haut Handschuhe, am besten Nitril)
- Keine zu hohen Ansprüche, Restauration aint Renovation!
- sich mit der Technik und dem Aufbau des Hobels vertraut machen, nur was man kennt kann man auch reparieren
- Geduld, Geduld, Geduld!

Hoffe es hat euch gefallen  :D


PS: Rechtschreibfehler sind gemeinfrei, wer einen oder mehrere findet kann sie behalten (ohne Rückgaberecht  ;D)
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Lu-Ku

Toller Bericht, tolle Fotos, tolle Arbeit!!! dh: dh: dh:
Dank dir, Helge! Von solchen Tipps und Tricks und solchen Berichten lebt dieses Forum!
Meine Herren, du gibst dir aber auch immer eine Mühe! Unglaublich!
Ich hätt das Teil wahrscheinlich einfach entsorgt...
Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen. (Mark Twain)

BlueDun

Hallo Helge,

ich bin jetzt etwas hin-und hergerissen, ob ich Dir zu Deiner Hingabe und Deinem handwerklichen Geschick gratulieren, oder Dir das Aufsuchen einer Spezialklinik nahelegen soll ...  ;)
Wie auch immer ... die Lektüre hat Spass gemacht. Danke  dh:

BlueDun

herzi

Gruß,
Stefan

Ocrana


lotse

Was mich wieder in meinem Verdacht bestätigt:
Bauschaum, Tesa und Kabelbinder halten diese Welt zusammen... ;)

Hübscher Bericht Helge!

Siegfried Sodbrenner

Zitat von: Lu-Ku am 21. März 2014, 02:14:12
Ich hätt das Teil wahrscheinlich einfach entsorgt...

Ich ehrlich gesagt auch.
:-\
Nach der stundenlangen (bzw. tage-, wochenlangen?), gefährlichen Arbeit stellt sich natürlich die Frage:
Hat es sich gelohnt?
Wie rasiert der ERFA denn so? Mit passender Triton R3 oder Croma Klinge womöglich?
Spalten statt versöhnen:
Pro Bono - Contra Malum

multicast


mikri

Ein Faden nach meinem Geschmack. Super bebildert, super beschrieben. Respekt Helge.
Mit Verarzten dauert's länger

http://nassrasieren.blog

RavenNevermore

Meinen uneingeschränkten Respekt für deine in meinen Augen sehr gelungene Restauration!   :D
Vielen Dank das du uns daran teilhaben läßt indem du es Step-by-Step dokumentiert hast.  :)  dh:

Rockabillyhelge

Danke für euer Feedback, es freut mich sehr das der Thread euch gefällt  :D dh:

Ob es sich gelohnt hat, naja, also wirtschaftlich gesehen nein, dafür hat es schlichtweg
zu lange gedauert und war zu aufwändig (wobei ich es mit den Möglichkeiten auch noch
nicht auf die Spitze getrieben habe), rasurtechnisch und sammlungstechnisch finde ich
hat es sich und lohnt es sich bei so einem Hobel immer ihn wieder in Funktionstüchtigen
Zustand zu versetzen da er selten ist und auch bei der Rasur so manchen anderen Hobel
locker auspunktet.
Der ERFA ist ein sehr gutmütiger Adjustable, in der hier gezeigten Variante etwas führiger
noch als der Progress aber nicht minder gründlich, durch den schmaleren Kopf braucht er
einen etwas steileren Winkel, aber das ist wie bei vielen anderen Hobel auch nur Gewöhnungssache,
ich mag das Understatement dieses kleinen Dickerchens  :)
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

mikri

Ich findes es höchst respektabel, wenn sich jemand die Mühe macht, um ein Stück Geschichte - hier bei uns Rasurgerätschaften - zu erhalten. Denn mir wenigstend geht es doch auch darum. Ich sammle die Dinger ja nicht zum Selbstzweck, sondern und auch, damit sie erhalten bleiben. Und wenn man sie noch benutzt, oder so einen selbst toll wieder hergestellten Rasierer benutzen kann ist doch die Freude noch einmal so gross. Auf so eine Arbeit darf man mit Fug und Recht stolz sein. Ausserdem lernt man ja auch immer wieder etwas  dh:
Mit Verarzten dauert's länger

http://nassrasieren.blog

Rockabillyhelge

@mikir: das ist genau auch meine Sichtweise!  :D dh:

Und das Lernen war unter anderem ein Grund mit für die Restauration,
nur wenn man weis wie etwas funktioniert kann man es auch erhalten, verstehen und vielleicht sogar (in Zukunft)
verbessern finde ich.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

mikri

Mit Verarzten dauert's länger

http://nassrasieren.blog

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